Ein hochinteressanter Beitrag von unserem Kirchengemeinderat Werner Stielau.
Die Kirchenglocken von Meißenheim
Von Werner Stielau, Kirchengemeinderat, Oktober 2008
In der Teilungskarte des Geroldsecker Landes von 1277 ist Meißenheim mit einer beachtlich großen Kirche dargestellt, die einen stattlichen Kirchturm aufweist. Sicherlich gab es auch ein dem entsprechendes Geläut. Näheres aus dieser Zeit ist, was die Glocken betrifft, leider nicht überliefert.
Der erste Hinweis auf die Kirchenglocken überhaupt erscheint im Jahr 1590 (Chronicon Meissenheimense). Der Chronist schreibt wörtlich : “Den 13. Junij Samstag vor Trintatis hat man die grosse Glock hieher gebracht und gleich hinauff in den thurn gezogen hatt gewogen 14 ½ Centner 10. Pfundt hat bey dem glockengiesser Kostet 179 gulden, undt Kostet sie mit dem Zoll undt zu henkern in Allem anher den 200 gulden.“
Vermutlich handelt es sich um eine neue Glocke, die für die 10 Jahre zuvor erbaute Kirche, also die Vorgängerkirche unserer jetzigen Kirche, angeschafft wurde.
Für das Jahr 1670 erfahren wir, dass durch Plünderung eine Glocke ins Elsass gelangte. In diesen Jahren hat sich Ludwig der XIV nach und nach das ganze Elsass einverleibt, so wurde Straßburg im Jahr 1681 besetzt. Vermutlich haben marodierende Soldaten auf unserer Rheinseite Beute gemacht. Im Zollgebäude von Schlettstadt ist die geraubte Glocke jedoch sichergestellt worden und konnte somit später nach Meißenheim zurück gebracht werden. Aus dem Schriftwechsel zwischen den Städten Schlettstadt und Straßburg kennen wir den französischen Originaltext, er lautet:
« Schlettstadt fait savoir que la gloche enlevé par les soldats á Meissenheim a été mise en sûreté dans le bâtiment de la douane «(correspondance des autorités de Schlettstadt avec le magistrat de Strasbourg)
Wie wir wissen, wurde die genannte Kirche von 1580 im Frühjahr 1763 wegen Baufälligkeit und Enge, innerhalb 15 Tagen abgebrochen, anschließend wurde mit dem Neubau unserer heutigen Kirche begonnen.
Bereits im Frühjahr 1765 wurden zwei alte noch vorhandene Glocken, nämlich die Kleine und die Mittlere, im neu entstehenden Kirchturm installiert. Der Baufortschritt am Kirchenneubau hat dies rund zwei Jahre nach Baubeginn ganz offensichtlich zugelassen. Immerhin waren es ja noch eineinhalb Jahre bis zur Einweihung des Gotteshauses, welche am 28.10.1766 begangen wurde.
Wir können annehmen, dass die große Glocke von 1590 entweder in den Kriegswirren des 30-jährigen Krieges (1618-1648) abhanden gekommen oder stark beschädigt oder einfach zu groß für den neuen Kirchturm war, wir wissen es nicht und können nur Vermutungen anstellen.
Das damals aktuell vorhandene Geläut von zwei Glocken wurde nämlich mit einer großen Glocke ergänzt. Diese neue Glocke wurde 1765 in Straßburg von Mattheus Edel gegossen. Das Gewicht betrug 731 Pfund, das entspricht 365 kg. Wir erfahren auch die zugehörigen Kosten: einschließlich Zoll und Kahnfracht in den Ottenheimer Hafen (Gewann Pfuttenlohr) waren 582 Gulden, 8 Schilling und 3 Pfennig zu bezahlen. In den genannten Kosten waren auch das Zubehör mit Beschlägen, Klöppel, das Joch und das Aufhängen enthalten. Wie alle großen Glocken hing auch diese in der Mitte des Glockenstuhls. Aus der Gewichtsangabe ist im Vergleich zur Glocke von 1590 festzustellen, dass die frühere Glocke rund das doppelte Gewicht aufwies. Entsprechend groß und stabil musste daher auch der Glockenstuhl von 1580 gewesen sein.
Ich schließe daraus, dass der damalige Turm wesentlich gedrungener und stabiler gegenüber unserem heutigen schlanken Kirchturm gewesen sein muss.
Leider wissen wir ja über diese Kirche sonst nur wenig. In der oben bereits erwähnten Chronik erfahren wir von Pfarrer Storck, dass diese Kirche im Jahr 1580 in der Woche nach Pfingsten „gedeckt und ausgestrichen“ wurde. Im Jahr 1607 berichtet Pfarrer Schilher (Meißenheimer Chronik) von Altar und Taufstein.
1765 wurde eine weitere kleine und 1773 eine mittelgroße Glocke von Edel in Straßburg gegossen. Beide Glocken schmückten Früchtegirlanden rings um den Glockenkörper, auf dessen vorderen Flächen in rechteckiger ornamentierter Umrahmung die Namen der Gerichtspersonen (heute würde man Bürgermeister/in und Gemeinderat sagen) eingeprägt waren. Bauherr und Eigentümer der Kirche war die politische Gemeinde. Erst im Jahr 1908 ist die Kirche in das Eigentum der Evang. Kirchengemeinde übergegangen.
Ganz offensichtlich war man mit den alten Glocken, die im Frühjahr 1765 im Kirchenneubau aufgehängt worden waren nicht mehr zu frieden, oder sie waren beschädigt. Wie bereits erwähnt, waren auf der Glocke von 1765 die Namen des Orts-Gerichts eingegossen. Die identische Namensliste ist heute noch auf der Stuckkartusche an der westlichen Kircheninnenwand zu lesen. Der dortgenannte Andreas Hockenjos ist der Ur-Ur-Ur-Urgroßvater des Verfassers dieser Zeilen.
Auf der Glocke von 1773 wurde die gleiche Namenliste jedoch aktualisiert wiedergegeben. Und neu ist, dass auch Pfarrer Lenz genannt wird. Auf diesen beiden Glocken war auch der Ring als Ortszeichen von Meißenheim eingegossen. Vor und nach dem Ring die Buchstaben M und H, so dass, wie auf den Gemarkungssteinen heute noch, „MOH“ zu lesen war.
Diese beiden Glocken, also die Kleine und die Mittlere, mussten im Ersten Weltkrieg abgeliefert werden. Sie waren für immer verloren und wurden 1922 durch neue Glocken aus der Gießerei Bachert in Karlsruhe ersetzt.
Die Lahrer Zeitung vom 28. März 1922 berichtete darüber in der damaligen Schreibweise wie folgt : „Meissenheim, 27. März. Am letzten Freitag mittags 1 Uhr setzte sich ein stattlicher Zug nach dem Bahnhof Friesenheim in Bewegung, um die beiden neuen, von der Firma Bachert in Karlsruhe gegossenen Glocken in Empfang zu nehmen. Dem Zuge voraus ritten Reiter auf schmucken Rossen, denen der geschmückte, mit vier Pferden bespannte Glockenwagen folgte. Den Schluß bildeten unsere dichtbesetzten Fuhrwerke. In Friesenheim angekommen, war das Verladegeschäft bald beendigt und nachdem die Teilnehmer sich körperlich gestärkt, machte sich der Zug wieder auf den Heimweg. Die Reiter verteilten sich vor und hinter dem Glockenwagen, einige bildeten den Schluß. Als der Zug von der Kirche aus in Sicht kam, erhob die zurückgebliebene Glocke ihre klangvolle Stimme, um die neuankommenden Gefährtinnen zu begrüßen. Nach einer Rundfahrt durch das Dorf machte der Zug bei der Kirche halt; hier begrüßten drei Klassen der Volksschule mit mehreren gut vorgetragenen Liedern die neuen Glocken; Herr Pfarrer Krapf hielt eine kurze entsprechende Ansprache. Dann bewegte sich der Zug durch sämtliche Ortstraßen. Am Freitag mittag schon war ein Monteur der Firma Bachert zur Stelle und traf Vorkehrungen zum Aufhängen der Glocken. Am Samstag um 11 Uhr waren sie an ihrem luftigen Bestimmungsort aufgehängt. Um halb 12 Uhr begab sich ein junges Brautpaar zur Kirche, wobei das neue schöne Geläute ihm als ersten das Geleite gab. Mittags wurde ein kurzes Probeläuten veranstaltet. Am Sonntag morgen rief die zurückgebliebene Glocke die Einwohner zur Kirche. Nach einem entsprechendem Lied und Gebet hielt der Ortsgeistliche, Herr Krapf, eine zu Herzen gehende Ansprache, welche Ausklang in den Worten: „So klinget nun, ihr Glocken,“ worauf die Glocken in Bewegung gesetzt wurden. Während sie ihre feierlichen Töne erschallen ließen, sang die Gemeinde stehend das Lied: „Großer Gott wir loben Dich!“ Unterdessen begab sich Herr Pfarrer Krapf auf die Kanzel und wählte als Festtext die Inschrift der einen Glocke: „Friede auf Erden.“ Es folgte eine tiefdurchdachte, Herz und Sinn erhebende Predigt. Mittags wurde zirka eine Stunde mit kurzen Unterbrechungen geläutet. Am Abend fand in der Kirche eine erhebende Nachfeier statt, die eingeleitet wurde durch den Vortrag zweier schöner, von Herrn Oberlehrer Hartmann und Herrn Hauptlehrer Maag eingeübter Lieder durch die oberen Klassen der Volksschule. Volksschüler trugen sodann passende Gedichte vor, auch Abschnitte aus Schillers Glocke. Herr Pfarrer Krapf hielt nach jedem Vortrag eine erläuternde Ansprache. Hierauf sang die Gemeinde einen passenden Choral. Auch der hiesige Männergesangverein unter Leitung seines bewährten Herrn Dirigenten Köbele aus Lahr trug durch Vortrag von zwei sehr gut eingeübten Liedern wesentlich zur Verschönerung der Feier bei. Ein Gebet, Gesang der ganzen Gemeinde und Segen bildeten den Schluß der erhebenden Feier, die allen Teilnehmern im Gedächtnis bleiben wird. Erwähnt sei noch, dass Herr Gemeinderechner Fischer ein selbstverfaßtes Gedicht vortrug, das beifällig aufgenommen wurde.“
Soweit der Bericht der Lahrer Zeitung.
Der vertraglich festgesetzte Gesamtpreis für diese beiden Glocken von 25.000 Mark erhöhte sich in Folge der rasanten Inflation ( Lohn- und Material) auf 39.058 Mark. Die Firma Bachert hatte im Vertrag eine Preisgleitklausel vorgesehen. Noch im März 1921 schätzte Pfarrer Kraft, in einem Bittbrief an die pol. Gemeinde um einen Zuschuss, die Materialkosten auf 20.000 Mark, die im Voraus zu zahlen waren. Durch eine kirchliche Haussammlung am 6. März 1921 waren 7957 Mark zusammen gekommen, zuvor hatte man bereits 3500 Mark gesammelt. Die größere dieser beiden Glocken, also vom Gesamtgeläute die Mittelgroße, trug als Bildschmuck ein aufrechtes Schwert, über dessen Knauf zwei Palmzweige gekreuzt waren. (siehe auch Foto kleine Glocke von 1922). Darunter die Inschrift: „ Im Kriege als Opfer dargebracht, bin ich durch Opfer neu erwacht“. Wie wir nachher sehen werden, wurde diese Glocke jedoch erneut eingeschmolzen. Das vervollständigte Geläut von 1922 ergab mit der großen Glocke den volltönenden Dreiklang f-a-c. Dies blieb so bis zum zweiten Weltkrieg. Die große Glocke von 1765 wurde 1906 von Bachert umgegossen und trug die Inschrift: “ Land, Land, Land höre des Herrn Wort“, Jeremia 22.29
Der Durchmesser betrug 110 cm, der Grundton fis. Auch waren die Namen des Pfarrers (Hafenreffer) und des Kirchengemeinderates eingeprägt. Wie aus einem Schreiben vom 16. September 1917 hervorgeht, gehörte diese Glocke der Evang. Kirchengemeinde. Wörtlich heißt es dort: „ Die Glocke trägt am oberen Rand einen Eichenlaubkranz und ist auf der einen Seite geziert mit dem Brustbild Großherzog Friedrich I von Baden (relief) das von zwei Eichenlaubzweigen eingefasst ist und die Unterschrift trägt Großherzog Friedrich von Baden“. Obwohl die Kirche wie oben berichtet erst 1908 in das Eigentum der Kirchengemeinde überging, war die Kirchengemeinde trotzdem Eigentümer der Glocke von 1906.
Wie wir heute wissen hat man sich damals erfolgreich gegen die Ablieferung dieser Glocke gewehrt, die anderen beiden waren da ja bereits beschlagnahmt worden. Während des zweiten Weltkrieges wurde diese große Glocke von 1906 und die mittelgroße von 1922 für Rüstungszwecke abgenommen und eingeschmolzen. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass bereits im ersten Weltkrieg die original silbermannschen Prospektpfeifen (39 Stück) für Rüstungszwecke konfisziert worden waren.
Erst im Jahr 1949 konnte das Geläut unserer Kirche wieder vervollständigt werden.
Zeitzeugen haben von dem großen Ereignis von 1949 berichtet, als unter dem Kommando von Bürgermeister Ernst Löffel und Zimmerer Heinrich Luick die neuen Glocken mit Hilfe von Auslegergerüsten und Flaschenzügen am Kirchturm hochgezogen und im Glockenstuhl eingebaut wurden.
Anfang der 1960 Jahre wurden elektrische Läutemotoren angeschafft, dazu später auch noch eine elektronische Steuerung, so dass das Glockenläuten von Hand mit Hilfe langer Glockenseile seitdem nicht mehr notwendig bzw. möglich ist.
Während der Renovierungsarbeiten des Kircheninnenraumes 2003 wurde in der Läutekammer ein neues Schalttableau eingebaut. Vorsorglich wurde ein Schalter für eine 4. Glocke vorgesehen. Vielleicht findet sich mal ein Stifter für eine vierte Glocke.
Die kleine und heute älteste Glocke hängt in Richtung Norden und stammt aus der Gießerei Bachert in Karlsruhe, Datum 1922, die Inschrift lautet: “FRIEDE AUF ERDEN“; die Mittelgroße hängt Richtung Süden und stammt aus der Gießerei Rincker in Sinn, Datum 1590+1949, die Inschrift lautet: „EHRE SEI GOTT IN DER HÖHE“.
Die Große Glocke in der Mitte des Glockenstuhls stammt ebenfalls aus der Gießerei Rincker in Sinn, Datum 1590+1949, die Inschrift lautet: „LAND, LAND, LAND HÖRE DES HERRN WORT“. Der Sitz der Firma Rincker ist im Mittelhessischen, nordwestlich von Frankfurt.
Die Jahreszahlen 1590 auf beiden letztgenannten Glocken und die Inschrift der großen Glocke sind 1949 in Erinnerung und Wertschätzung an die historischen Glocken gewählt worden. Wie aus vorstehender Schilderung hervorgeht, ist die Jahreszahl 1590 auf der großen Glocke allein nicht ganz richtig. Der wirkliche zeitliche Bezug zu der Vorgängerglocke hätte 1590, 1765, und 1906 heißen müssen. Für die mittlere Glocke sind die richtigen Jahreszahlen 1773,1922,1949 und für die kleine Glocke 1765,1922.
Im Jahr 2007 wurde der Glockenstuhl ertüchtigt. Hierzu wurden die Schraubverbindungen an den bereits früher eingebauten Knotenblechen nachgezogen und die Holzverbindungen mit Keilen stabilisiert. Die Firma Schneider (Schonach) hat im gleichen Jahr eine neue Motorsteuerung eingebaut. Damit kann die Auslenkung und das Anfahren der Läutemotoren gesteuert werden.
Laut Glockenexperten wäre es wünschenswert die vorhandenen Stahljoche durch Holzjoche zu ersetzen. Die Schwingungsübertragung würde dadurch gedämpft und der Glockenstuhl in Gänze nicht so beansprucht, das Geläute weicher. Diese aufwändige Maßnahme sollte bald umgesetzt werden.
Quellen: Heimatbuch Meißenheim ; Chronicon Meissenheimense ; Pfarramtarchiv ; Meißenheim Bilder und Texte aus vergangenen Tagen